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Trainer üben: "Schreit so laut ihr könnt!"

Initiative "Sicher Stark" schult Grundschulkinder, um Gewalt und sexuellem Missbrauch zu begegnen - Krankenkasse plant Kurse für Schulen

Der Vergewaltiger einer Neunjährigen aus Delitzsch hat gestern gestanden. Er zerrte das Mädchen ins Auto, um es später zu missbrauchen. Wie Kinder sich selbst gegen solche Angriffe schützen können, darüber klärt ein Team aus Pädagogen, Psychologen, Kindertherapeuten und ehemaligen Polizisten auf.

Von Grit Strietzel

Chemnitz. "Jetzt schreit ihr, so laut wie ihr könnt!" Die scheinbar einfache Aufforderung an die Mädchen und Jungen der Annen-Grundschule in Chemnitz scheitert. Denn laut zu brüllen, das sind Kinder heutzutage offenbar nicht mehr gewöhnt. Der ehemalige Polizeibeamte Ralf Schmitz weiß längst, dass man das Lautsein erst lernen muss. Also wird trainiert: Rennen in der Turnhalle und brüllen. Einer nach dem anderen der Acht- bis Zehnjährigen kommt an die Reihe. Und so manches Kind schaut verdutzt, wenn es merkt, welche Lautstärke in ihm steckt.

Schreien ist nur eine Übung, die die Kinder an diesem Vormittag üben. Denn dem "Sicher-Stark-Team" (siehe Stichwort) geht es nicht nur ums Lautsein. "Wir wollen den Kindern zeigen, wie sie sich gegen Gewalt wehren können", erklärt Diplom-Pädagogin Julia Schlegel. Die Kinder machen begeistert mit.

In Rollenspielen wird beispielsweise geübt, wie man sich gegen das Festhalten am Arm in der Schule wehrt. Zunächst kommt eine höfliche Aufforderung. "Lass bitte los!", verlangt die zierliche Julia. Ihre "Angreiferin", die etwas größere Lisa, reagiert nicht. Nun wird Julia bestimmter. "Lass los", sagt sie deutlich lauter. Automatisch schauen alle Unbeteiligten auf das Mädchen. Beim dritten Mal stampft sie mit dem Fuß, ruft sehr laut den gleichen Satz und reißt energisch ihren Arm los. Die verblüffte Lisa steht nur da. "3 bis 20 Sekunden steht der Angreifer unter Schock, wenn eine Reaktion kommt, mit der er absolut nicht rechnet", weiß Ralf Schmitz. Dies sei eine Chance, zu entkommen und wegzurennen.

Die Deutsche Betriebskrankenkasse (BKK) initiiert in Sachsen drei Schulungen für Kinder in Chemnitz, Zwickau und Dresden. Die Resonanz ist riesig. "Ein von Gewalt oder Missbrauch betroffenes Kind muss im Durchschnitt sieben Personen ansprechen, bevor ihm geholfen wird", bilanziert Jan Weißbach, Chemnitzer Filialleiter der BKK. Die Kurse sollen dem Nachwuchs Mut und Stärke geben. Interessierte Schulen können sich für neue Lehrgänge bei Weißbach melden. Wie wichtig das Durchspielen bestimmter Situationen ist, beweist Ralf Schmitz auch in Chemnitz. Nur wenige Minuten nach Kursbeginn verwickelt er zwei Kinder in ein freundliches Gespräch. Minuten später ist eines von ihnen bereit, mit dem fremden Mann den Schulhof zu verlassen. Am Tor bricht Schmitz das Experiment ab. Die Eltern erfahren erst am Kursende von dem Vorfall. Und die meisten sind fassungslos. Doch Ralf Schmitz sieht es etwas anders: "Wir haben mit allen Kindern darüber gesprochen und sie haben verstanden, wie sie sich richtig verhalten müssen."

Stichwort

Das Sicher-Stark-Team

Vor mehr als zehn Jahren schlossen sich Pädagogen, Psychologen, Kindertherapeuten und ehemalige Polizisten in Euskirchen (Nordrhein-Westfalen) zusammen. Ihre Vision: Grundschulkinder erfolgreich vor Gewaltverbrechen und sexuellem Missbrauch zu schützen, indem sie die Jüngsten speziell schulen und ihnen das Verhalten der Täter zeigen. 300.000 Kinder nahmen laut der Initiative schon an den spendenfinanzierten Kursen teil.

TIPPS FÜR ELTERN

Nicht mit Fremden gehen, ist überholt Das Sicher-Stark-Team, eine soziale Initiative, schult nicht nur Grundschulkinder. Auch Eltern erfahren, wie sie ihren Nachwuchs besser vor Verbrechen schützen können. Einige Tipps:

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